Wenn Körper und Seele hungern

Essstörungen sind oft ein Zeichen für ungestillten Lebenshunger. Eine Ausstellung in Ahornberg klärt darüber auf.

Von Helmut Engel

Konradsreuth-Ahornberg – Zum zweiten Mal nach 2017 findet in der Fachakademie des Landkreises Hof in Ahornberg eine Ausstellung zu Magersucht, Bulimie, Binge Eating, Biggerexie und Muskelsucht statt. Sie klärt auf über Probleme mit dem Essen und was dahinter stecken kann, welche Signale erkannt werden sollten und wie man sich wieder befrei- en kann. Die Ausstellung zeigt kreative Wege aus diesen Essstörungen.

Landrat Oliver Bär sagte bei der Eröffnung der Ausstellung, dass er glücklich sei, dass man nach drei Jahren die Ausstellung wieder präsentieren kann. Die Ausstellung soll aufklären über Essstörungen in ihren unterschiedlichen Formen und darüber, wo man Hilfe finden kann. „Wir wollen, dass es den jungen Menschen gut geht. Sie werden gebraucht“, sagte Landrat Bär. Deshalb soll die Ausstellung auch künftig alle drei Jahre erneut zu sehen sein.

Die Schulleiterinnen Thea Wachter (Fachakademie) und Monika Nestvogel (berufliche Schulen) freuen sich, dass die Ausstellung wieder in  ihren   Räumen   stattfinden kann. „Das ist ein schönes Angebot für die Schüler selbst, aber auch für ihre künftige Arbeit“, betont Thea Wachter. Auch Schüler und Studierende an den Ahornberger Schulen seien von Essstörungen betroffen.


Das Internet und das Fernsehen trügen eine gewisse Mitschuld, sagt Monika Nestvogel. „Der  Körper spielt in diesem Alter eine immer größere Rolle“ – wobei die Medien mit Sendungen wie „Germany’s next Topmodel“ vorgäben, wie besonders junge Mädchen aussehen sollten.

Marco Stickel, der Leiter des Jungen Theaters Hof, trägt einen Auszug aus der szenischen Lesung „Food Diaries“ vor. Darin werden Tricks Betroffener aufgedeckt, die verhindern sollen, dass ihre Essstörungen auffallen. Trotzdem hoffen sie, dass sie von ihrer Krankheit loskommen.

Für die Heilpraktikerin für Psychotherapie, Gertraud Fischer, selbst eine ehemalige Betroffene, sind Essstörungen ein ganz weites Thema. Eltern oder Lehrer seien oft hilflos, wenn ihre Kinder oder Schüler davon betroffen sind.  Selbst  Mütter von Kindergartenkindern würden sich schon oft Sorgen über das Ess- verhalten ihrer Kinder machen. Essstörungen seien auch ein Generationsproblem, das sich oft bis zu den Großeltern durchzieht. Aus eigener Erfahrung und von Klientinnen wisse sie, man müsse auf den eigenen Körper hören. „Hören und schmecken, was unser Körper braucht.“

Essstörungen seien etwas Zwanghaftes, ein Trauma, eine schwere emotionale Belastung, eine Krankheit. Wenn man gerne in Harmonie leben möchte und der Schmerz zu groß wird, könne man in den Alkohol, übertriebenen Sport, Arbeitssucht oder in Essstörungen wie Bulimie abgleiten, die auch tödlich aus- gehen können, wenn man einen Panzer um sich aufbaut. Man sollte nicht vor Scham im Boden versinken, sondern mit Eltern oder Lehrern sprechen und eine Therapie machen.

Im Rahmenprogramm gibt Schauspieler Marco Stickel an vielen Schulen im Landkreis szenische Lesungen zum Thema Essstörungen. Foto: Engel

„Eine Sucht nimmt das ganze Familiensystem ein, es ist kein normales Familienleben mehr möglich.“ Hilfe anzunehmen, sei der erste Schritt zur Heilung. „Holt euch Unterstützung bei Angehörigen oder Mitschülern, nehmt Unterstützung an. Die Sucht darf keine so große Macht über euch bekommen.“ Wenn  die Familie zusammenarbeite, löse sich das Problem oft sehr schnell.

Die Ausstellung zeigt auf, welch vielfältige Probleme Essstörungen auslösen können. Dazu gehören Liebeskummer, Einsamkeit, Perfektionismus, Konflikte in der Familie, Mobbing, Schulstress, ein nicht erreichtes Schönheitsideal oder Lebenskrisen. Signale, die auf Essstörungen hindeuten, sind: häufige Diäten, das Aufsuchen der Toiletten nach dem Essen, die ständige Beschäftigung mit der Figur, die Abmagerung und die Verleugnung des Untergewichts, Rückzug, große Kenntnisse über Nahrung und Kalorien oder extreme sportliche Aktivitäten. Dabei hätten die Betroffenen „Hunger“ nach Freundschaft, Leben, Ehrlichkeit, Verständnis, Nähe und Liebe. Der Schlüssel, die Störung zu überwinden, liege bei jedem selbst.

„Sie sollten sich mit sich selbst an- freunden“. Niemand sollte Angst vor Therapien haben oder davor, eine Beratungsstelle aufzusuchen. Jedoch brauche Heilung auch Zeit und Rückfälle seien nicht ausgeschlossen.

Eltern sollten ihre betroffenen Kinder nicht ständig auf Essen, Ge- wicht oder Figur ansprechen, sondern lieber fragen, wie es ihrem Kind geht. Sie sollten Herzlichkeit zeigen und ihr Kind in den Arm nehmen. Auch ein Lob hören die Kinder gerne. Trotzdem sollte das Essverhalten kein Tabu sein, die Eltern sollten offen mit ihren Kindern darüber reden. Essgestörte möchten nicht bedauert oder geschont, sondern akzeptiert und geliebt werden. „Essstörungen sind ein Hilfeschrei und die Betroffenen sind froh, wenn das wahrgenommen wird.“

Öffnungszeiten und Programm

Die Ausstellung ist an Schultagen bis zum 23. Oktober geöffnet. Jeden Freitag finden von 15.30 bis 17 Uhr Führungen statt. Eine Anmeldung ist nicht notwendig.

Im Rahmenprogramm gibt es drei weitere Angebote:

Am Montag, 19. Oktober, referiert Diplom Psychologin Katleen Kleinert von 18.30 bis 20 Uhr zum Thema „Essstörungen – Was bedeutet das und wie kann ich helfen?“ in der psychologischen Beratungsstelle „Treffpunkt Familie“ am Schellenbergweg in Hof.
Anmeldung erforderlich unter 09281/160710200.

Um „Kreativ-therapeutische Ansätze bei Essstörungen“ geht es am 23. Oktober von 19 bis 20.30 Uhr im Bürgerzentrum Münchberg. Referentin ist Gertraud Fischer, Heilpraktikerin für Psychotherapie.

An etwa 20 Schulen des Landkreises gastiert Marco Stickel, Leiter des Jungen Theaters Hof, mit 50-minütigen szenischen Lesungen.

Helmut Engel:
In: Frankenpost, Stadt und Landkreis Hof, 09.10.2020, S. 12